Selten lernt man Geschichte von Augenzeugen, aber am 5.11. 2019 boten unsere Magdeburger Schwestern uns Braunschweiger Sorores genau diese Möglichkeit: Sie führten uns vom Bus direkt in den Dom, der um diese Uhrzeit am frühen Abend nur für uns geöffnet war, zu einer Sonderführung durch die Ausstellung „Der Herbst 89 – friedliche Revolution in Magdeburg“.
Wir standen vor Barlachs berührendem Ersten Weltkriegsdenkmal, und dort erzählte uns ein Mitglied des Bürgerkomitees, eine kleine Frau, winzig neben dem großen Holzsoldaten, von ganz anderen Herausforderungen. Mit bewegender Klarheit berichtete sie von immer mehr Menschen, die sich in den späten 80er Jahren zu Protesten gegen ihre Regierung versammelten: Eines Abends habe es das Gerücht gegeben, dass die Behörden eingreifen würden, und man musste weglaufen - ihre Schilderung des Fliehens und der Angst damals gab uns immer noch eine Gänsehaut.
Für den Weg vom Dom zum Bürgerdenkmal, eine große offene Rolle aus Gusseisen, erhielten wir von unseren Schwestern Teelichter in Gläsern und Papiertüten als Erinnerung an die Protestierenden. Die Lichter hatten eine wichtige Bedeutung: niemand kann seine Kerze vor Wind schützen und gleichzeitig Steine werfen, die Demonstrationen waren also absolut friedlich.
Mit so viel Inspiration durch tapfere Menschen wurden wir im Hotel Maritim von den übrigen Magdeburger Clubschwestern begrüßt. Durch ihr Lächeln, ihre ausgestreckten Hände und den eleganten Raum, den sie für uns vorbereitet hatten, fühlten wir uns gleich zu Hause. Mit der herzlichen Begrüßung beider Präsidentinnen wurde die Verbundenheit zwischen unseren Clubs, - Magdeburg wurde von den Braunschweigerinnen gegründet -, unterstrichen. Nach einem großzügigen Buffet erfuhren die Jüngeren unter uns noch mehr über diese Beziehung: Vor der Wende hatten einige Frauen aus Magdeburg den Club in Braunschweig besucht, damals durften sie keinen eigenen Club haben. Aber so bald wie möglich nach der Wende wurde der Club in Magdeburg gegründet, ein Zeichen, dass Frauen die Möglichkeiten der neuen Zeiten nutzen wollten.
Später präsentiert eine Clubschwester in einem kurzem Statement starke Frauen nach der Wende: Vier Frauen auf einem Foto sehen uns hoffnungsvoll an. Frau Wanka, eine Universitätsrektorin, Frau Wille, die den MDR mit aufgebaut hat, Frau Schütz-Knospe, eine Dirigentin bei der Bundeswehr, und Frau Menges, die Gründerin des Clubs in Magdeburg. Und ihr Lächeln trifft auf genau so fröhliche Gesichter im Publikum, weil viele Frauen aus Braunschweig fröhliche Erinnerungen an sie haben.
Über die Jahre verstärkte sich der Club Magdeburg, und die heutigen Mitglieder führten mit uns interessante und intensive Gespräche. Manche Frauen sind ursprünglich aus Magdeburg und Umgebung, andere sind später erst nach Magdeburg gekommen, um die neue Demokratie zu unterstützen. Alle haben spannende Geschichten, die alle wichtig sind.
Vielleicht hat es der ehemalige Bürgermeister Magdeburgs Willi Polte in einem kurzen Vortrag auf den Punkt gebracht: Nach der Wende mussten die Menschen ein neues politisches System aufbauen. Gar nicht so einfach. Doch als er mit vielen Menschen guten Willens arbeitete, die mutig und friedlich für ihre Zukunft gekämpft hatten, war der große gemeinsame Wunsch: Sagt uns die Wahrheit!
Dies ist immer noch von großer Relevanz, wie wir in weiteren Gesprächen fanden, die die ganze Nacht hätten dauern können. Aber wir mussten zurück nach Hause. Das heißt aber nicht, dass alle guten Dinge ein Ende haben müssen. Im Fall der Beziehung zwischen unseren beiden Clubs zeigt sich, dass gute Dinge auch noch immer besser werden können!
Braunschweig, 04.12.2019, Rebecca Bilkau, Dorothea Spielmann-Meyns